Der Selbstversuch am Straßenstrich in Köln

Liebe Gemeinde,

manchmal treibt es mich rum. So war ich diese Nacht unterwegs um mal zu schauen, was so läuft. Es wird niemanden verwundern, dass trotz Verbot der Sexarbeit in der Pandemie, dennoch Kundschaft unterwegs ist. Oder? Und wo Kundschaft ist, da ist auch die Dienstleistung nicht weit. Aber ja, das wundert mich auch nicht. Es sind nicht viele Kolleg:innen unterwegs, aber für die, die Geld für Miete, Gas, Wasser, Scheiße und gegen Hunger heimholen müssen, ist es eine harte Zeit.

Die Kolleg:innen arbeiten, weil die Umstände sie dazu nötigen. Sie haben keine validen Ansprüche an den Staat, können aus welchen Gründen auch immer kein Überbrückungsgeld beantragen. Es ist schon grober Mist, wenn die Gesellschaft Menschen ohne Papiere zum Beispiel duldet, aber in einer Notlage am langen Arm verhungern lässt. Das auf der Straße verdiente Geld in Mehrwertsteuer umsetzen ist okay, aber deswegen Überbrückungsgeld bekommen? Fehlanzeige. Wer also wissen will, wie das schwedische Modell Menschen in die Illegalität treibt, dem gebe ich gerne eine Stadtrundfahrt. Es ist bedrückend und beängstigend.

Ich habe mich aufgebrezelt und bin in Highheels, Halterlosen, viel zu kurzem Mini und einem Top mit einer dünnen Strickjacke in die Nacht und habe zunächst meine Straße, den Robinienweg, aufgesucht. Bei plus/minus 7 Grad Celsius stöckelte ich in alter Tradition im hinteren Teil des Weges entlang. Mein Vorhaben war, dass ich zwei Zigaretten rauchen würde um dann weiter zu fahren. Ich dachte in meiner Naivität, dass es auch viel zu kalt für die Männer sein würde. Falsch gedacht.

Es begann ein Blinkkonzert aus den Autos. Lichthupen oder kurz die Warnleuchten an. Die „Ware“ betrachten. Unter normalen Umständen hätte ich hier schnelles Geld verdienen können und wäre eventuell mit 100 EUR oder 150 EUR nach vielleicht zwei Stunden heimgefahren. Nur habe ich einer Kollegin Raum gelassen, die hier auch lang streifte. Und die es bitter nötiger hatte als ich. Ich bin privilegiert, habe einen Hauptjob und verdiene gutes Geld damit.

Im Gespräch sagte sie mir, dass sie eigentlich wegen der Pandemie ausgestiegen sei. Es sei viel zu unsicher, weil Maske tragen hier sinnlos ist. Tatsächlich habe sie angefangen zu putzen. Aber die Putzstellen wurden, wie andere Minijobs, immer weniger, weil die privaten Haushalte wegen Kontaktvermeidung sich von ihren Schwarzputzer:innen getrennt haben. Und ohne Geld geht es halt nicht. Wenn es gut läuft, dann verdiene sie in einer Woche genug, um die nächsten zwei Wochen nicht raus zu müssen. Sie wäre auch lieber in einem Bordell, aber die haben ja alle zu.

So habe ich ihr meine Nummer gegeben für den Fall, dass sie mal Hilfe brauchen kann. Und bin dann wieder heim. Wohlwissend, dass eine Bordellöffnung keine Superspreadingveranstaltung ist. Wenn es möglich ist in einen Supermarkt nicht mehr als die erlaubte Anzahl an Menschen reinzulassen, dann würde das Pascha das zum Beispiel auch hinbekommen. Stattdessen gehen die Kolleg:innen nun dahin, wo sie nicht gesehen werden. Es sei denn, es kommt so eine schrullige Alte wie ich daher und redet mal mit ihnen. Notiz an mich: Mache vorher eine Thermoskanne Kaffee und lass diese den Kolleg:innen da. Ich Dödeline.

Ich war früher gerne hier. Und wenn Corinna es es genehm ist, dann werde ich sicherlich auch wieder gerne hier arbeiten, wenn es meine Zeit erlaubt. Mir gefällt es hier, auch wenn der Straßenstrich hier eher als „Resterampe“ gilt. Sowohl für die Kundschaft, als auch für Sexarbeitende. Aber auch diese Kundschaft hat ein ganz bestimmtes Bedürfnis und eine ganz bestimmte Art der Sexualität. Und die mag ich sehr. Auch wenn ich als BDSM-„O“-Escort deutlich mehr Geld heimbringe als hier. Es macht mich demütig hier zu sein und ich werde meine Wurzeln in der Sexarbeit niemals vergessen.